Ohrenlider

 

Ich richte Frau Meier-Behrs Brille, während diese munter erzählt und sich selber unvermittelt das Stichwort Krankenhaus gibt. Mit dieser Art von Geschichten hatte ich heute nicht gerechnet, so dass ich den Moment verpasst habe, an dem ich noch hätte auf Durchzug schalten können.

So dringen jetzt ungehindert schmerzens- und blutreiche Operationsdetails in Ohr und Hirn. Mir wird immer schummriger, useliger, wie man im Sauerland sagt, aber Frau Meier-Behr ist in Fahrt und nicht mehr zu stoppen.

 

Mein vegetatives Nervensystem klinkt sich kurz aus, mir wird schwarz vor den Augen und ich falle vom Stuhl.

 

Als ich aus meiner Ohnmacht aufwache, beugt sich Frau Meier-Behr über mich und sagt:

„Sie sind aber auch empfindlich! Das war doch nur die kleine OP – ich hatte letztes Jahr eine viel schrecklichere.“

 

Seither gehört das – leider bislang nicht erhörte - Stoßgebet aus Kurt Tucholskys Roman „Schloss Gripsholm“ zu meinem festen frommen Repertoir:

 

"Gott, schenke uns Ohrenlider!"

 

 

 

PS: Jahre später hat mich bekanntlich eine junge Kollegin tatkräftig gerächt. --> Mordversuch

 

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